Dorferneuerungsexkursion 2006: Viel Neues im Osten
15. bis 18. Mai 2006
Die Europäische ARGE Landentwicklung und Dorferneuerung veranstaltete eine Fachexkursion nach Sachsen und in die polnische Wojwodschaft Opole im ehemaligen Schlesien. DorferneuerungsexpertInnen aus Deutschland, Litauen, Österreich, Polen, der Slowakei und Tschechien nahmen daran teil und konnten beachtliche Lösungen zur Aufarbeitung von oft schweren Hypotheken aus der jüngeren Vergangenheit dieser Regionen kennen lernen. Vorbereitet, begleitet und betreut wurde diese mehrtägige Besichtigungsfahrt vom Sächsischen Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft sowie vom Marschallamt in Opole.
Braunkohle-Landschaft in Sachsen
Ein zentrales Thema der Exkursionsziele in Sachsen war der Umgang mit den gewaltigen, 15 bis 20 Quadratkilometer großen „Restlöchern“ in der Landschaft – Relikte des mittlerweile aufgelassenen Braunkohletagebaus. Ziel ist es, diese so genannte „Braunkohlefolgelandschaft“ im südöstlichen Sachsen zwischen Lausitz und Neiße zu fluten und Stück für Stück in eine touristisch genutzte Seenlandschaft umzuwandeln. Eine gewaltige Herausforderung, geht es doch dabei um die Schaffung der notwendigen Infrastruktur, um aufwändige Uferbesicherungen des geschütteten Materials, um die Bewältigung von Problemen mit der Quantität und Qualität des Wassers und auch um die teilweise Rückführung von enteignetem Grund und Boden.
Auch kreative „Nebennutzungen“ aus der Braunkohlezeit gab es zu besichtigen, etwa die Erlichthofsiedlung, wo einstmals abgesiedelte regionaltypische Holzhäuser, die „Holzschrothäuser“, in einer neu angelegten Siedlung aufgestellt, mit vielfältigen handwerklichen Funktionen, Attraktionen und Festen belebt und wirtschaftlich tragfähig genutzt werden.
Bertsdorf-Hörnitz in Sachsen
Besonders beeindruckt zeigten sich die TeilnehmerInnen von Bertsdorf-Hörnitz, einer Gemeinde in der Oberlausitz, deren Ortsbild durch ca. 250 prächtig in Stand gehaltene bzw. renovierte Umgebindehäuser entscheidend geprägt wird. Rund 230 davon sind in die Denkmalliste aufgenommen. Beachtenswert ist darüber hinaus die Umnutzung mehrerer dieser Gebäude für handwerkliche und gewerbliche Zwecke, so dass insgesamt keinerlei leer stehende Bausubstanz zu verzeichnen ist.
Improvisation und Flexibilität als Erfolgsfaktoren
Mit einer für westliche Verhältnisse unvorstellbaren Ausgangslage sah und sieht man sich im polnischen Opole konfrontiert. Zum Beispiel in Franczków, einem ehemaligen Domainendorf mit Schloss, das nach der Verstaatlichung in kommunistischer Zeit als zentraler Ort mit mehrgeschossigen Wohnhäusern für die Mitarbeiter eines Kombinates von landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften angelegt und groß erweitert wurde. Dadurch kam es zum radikalen Bruch mit den historischen Wurzeln. Nach der Wende 1989 wurde nach der Auflösung der großen verstaatlichten Betriebe mit massivem Verlust von Arbeitsplätzen eine „Werksgesellschaft“ gegründet; 1996 erfolgte der Verkauf von Schloss und Park an einen italienischen Investor. Ein wirtschaftlicher Tiefpunkt, der aber nicht Resignation, sondern einen mutigen, engagierten Neubeginn auslöste. Mit einer gewaltigen Portion Eigeninitiative und unterstützt von EU-Programmen ist es den BürgerInnen dieses „PGR-Dorfes“ mittlerweile gelungen, ein ehemaliges Bürogebäude zu einer Kirche und zu einem Dorfzentrum sowie eine Wasserpumpenanlage und deren Umgebung zu einer Begegnungsstätte der BewohnerInnen umzugestalten. Diese ersten Projekte gelten als derartig bahnbrechend, dass Franczków gemeinsam mit anderen polnischen PGR-Dörfern als Ausgangs- und Kristallisationspunkt einer Art „Selbsthilfegruppe“ agiert.
Franczków in Polen
Mit großem Interesse wurden auch die „Themendörfer“ betrachtet. Der erste Schritt ist die Suche nach einem speziellen Thema, das stets auf vorhandenen personellen oder naturräumlichen Quellen aufbaut. Danach erfolgt die innovative Entwicklung von Programmen, Attraktionen, Bildungsangeboten und Festen, die einzeln betrachtet eher kleine, in ihrer Summenwirkung aber durchaus bemerkenswerte Wertschöpfungen bringen. „Graswurzelbewegung“ nennen die polnischen Dorfernerneuerer diesen Ansatz und meinen damit die Bewegung von unten und von innen.
Neben diesen Beispielen waren noch zahlreiche weitere Highlights zu bestaunen.Zum Beispiel Kamien Slaski, ein Zukunftsdorf mit starker wirtschaftlicher Entwicklung zum Seminar- und Kongressdorf auf Basis des kulturhistorischen Erbes. Hier wird die gegebene Situation eines von der Kirche restaurierten Schlosses mit einer kleinen integrierten Wallfahrtskirche voll genutzt.
Kamien Slawski
Das Kennenlernen der Probleme und Lösungen von Landentwicklung und Dorferneuerung in den östlichen Nachbarländern war für alle ExkursionsteilnehmerInnen ein Gewinn: Für die östlichen FachexpertInnen waren es Beispiele, die ihnen und ihren realen Problemen weit näher kommen als Fragen der ländlichen Entwicklung im Westen, die Fachleute aus dem Westen wiederum konnten sich davon überzeugen, mit welch andersartigen und oft sehr einfachen Mitteln erfolgreich für Problemlösungen im ländlichen Raum gearbeitet werden kann.
Peter Schawerda, der diese Exkursion seitens der Europäischen ARGE mitbetreut hat, meint dazu:“ Ich bin beeindruckt, wie hier aus der Not eine Tugend gemacht wird. Die bei uns gewohnte Betreuung und Planung durch ExpertInnen steht dort weit stärker im Hintergrund, Tugenden wie Improvisation und Flexibilität treten dagegen in den Vordergrund. Und die polnische Herangehensweise über die so genannte Graswurzelbewegung ist wohl ein sehr mutiger methodischer Ansatz, von dem wir im Westen durchaus lernen können.“